Über Tee

Steil ragen die Anamalai Berge aus der staubigen, sonnenverbrannten Ebene in Tamil Nadu/Indien auf. In 40 Haarnadelkurven windet sich eine schmale, aber gut ausgebaute Straße in das zentrale Tal des Anamalai Massivs bis auf 1300 Höhenmeter. Meilensteine markieren jede Kurve und schon nach wenigen Kilometern ist man im Tigerreservat. Große Schilder weisen darauf hin, wem man hier außer Tigern noch begegnen kann. Selbstverständlich haben Elefanten Vorrang im Straßenverkehr, wie Wachposten sitzen schwarzgesichtige Affen auf den niedrigen Mauern, die die Haarnadelkurven sichern. Ein Tahr Bock mit riesigen, gewundenen Hörnern (und weitläufig verwandt mit Gemsen und Steinböcken) bringt den Verkehr zum Stillstand bis er beschließt, sich von seinem Ruheplatz in der Mitte der Straße zu erheben und im Gebüsch zu verschwinden.

Der dichte Regenwald auf beiden Seiten der Straße weicht gelegentlich einer gepflegten Teeplantage. Die Teebüsche stehen dicht an dicht und werden so gleichmäßig gepflückt daß sie die Hügel zwischen den Schattenbäumen wie ein samtener, grüner Überwurf zu bedecken scheinen.

Beim Meilenstein 32/40, also an der 32. von 40 Haarnadelkurven, zweigt die Straße zur Teeplantage Iyerpadi ab. Es ist einer von nur 27 Teeplantagen in den Anamalai Bergen: Seit das gesamte Gebiet vor fast 50 Jahren zu einem Wildtier- und Tigerreservat erklärt wurde, darf nicht mehr gebaut werden und auch die Teeplantagen dürfen nicht expandieren. Es ist ein echtes Reich der Tiere: Dorfbewohner und Arbeiter auf den Teeplantagen bleiben nach Einbruch der Dunkelheit lieber zuhause, denn dann sind Leoparden unterwegs, und Elefantenbabys sind bekannt dafür, daß sie auf der Suche nach Zucker und Süßigkeiten regelmäßig Küchentüren von außen eintreten – und gelegentlich bleiben sie dann in der Öffnung stecken. Dann reißt die Mama die ganze Mauer ein, um das Kleine zu befreien. Nur die Bisons bevorzugen die Morgenkühle für einen Besuch in den Teegärten und ein ausgiebiges Frühstück zwischen den Teebüschen.

Vor dem Bungalow des Plantagendirektors zu stehen und die Sonne langsam hinter den Anamalaibergen verschwinden zu sehen ist ein wunderschönes, beinahe meditatives Erlebnis. Vor einem erstreckt sich das Tal, es ist still bis auf die Vögel, das Zirpen der Zikaden und die Geräusche anderer, umherstreifender Tiere; ein sanfter Wind verweht die drückende Hitze des Tages, während die Sonne langsam sinkt und es Nacht wird.

Die Morgen sind kühl, aber abgesehen von den endlos scheinenden Regentagen während des Monsuns sind es die von den Bergen heranrollenden Nebel, die Feuchtigkeit spenden. Zwei Areale in Iyerpadi, beinahe 400 ha, werden biologisch bewirtschaftet. Chemische Pestizide, Herbizide und Dünger sind nicht erlaubt. Das Forschungsteam der Plantage hat Biopestizide und Blattsprays entwickelt, die das Immunsystem der Teebüsche stärken. Wurmkompost und Mulchen verbessert die Bodenfruchtbarkeit. Die frisch gepflückten Teeblätter werden in die Teefabrik in Iyerpadi gebracht, wo sie sofort weiterverarbeitet werden. Die Blätter für schwarzen Tee werden gewelkt, gerollt und fermentiert, die für grünen Tee werden in heißen Dampf getaucht, abgekühlt und dann gerollt. Grüner Tee aus Iyerpadi hat einen wunderbar zarten Geschmack und ein einzigartiges Aroma.

Grüner und schwarzer Tee aus Iyerpadi ist bio- und Fairtrade zertifiziert. Für jedes verkaufte Kilogramm Tee wird eine Fairtrade Prämie gezahlt. Die Pflückerinnen und Teearbeiter entscheiden selbst, für welche Projekte die Fairtrade Prämie eingesetzt werden soll. Die Entscheidung trifft der von den Arbeiterinnen und Arbeitern gewählte ‚Joint Body’, und in dieses Gremium gewählt zu werden ist nicht einfach: man muß das Vertrauen der Belegschaft haben, muß offen sein für Vorschläge, muß zuhören können, wenn es um Probleme geht, und die Arbeit im Komitee muß für andere transparent und nachvollziehbar sein.

In einem guten Jahr verfügt das Komitee über 50.000 EUR um langfristige Projekte zu finanzieren, z.B. die Finanzierung zinsgünstiger Umschuldungen, finanzielle Unterstützung in Krankheitsfällen oder Zuschüsse zum Lebensunterhalt für begabte Schüler. Dazu kommen einmalige Projekte von denen alle Mitarbeiter profitieren, z.B. das Beschaffen einer Taschenlampe, eines Wasserfilters oder eines Thermosbehälters für jede Familie.